Story: Tian Wenjun (Huang Bo) und Lu Xiaojuan (Hao Lei) sind geschieden und kümmern sich abwechselnd um ihren gemeinsamen Sohn Pengpeng.
Eines Tages, als Tian auf Pengpeng aufpassen soll, verschwindet der Sohn jedoch. Die Eltern sind verzweifelt. Tian versucht seinen Sohn zu finden, wobei
er immer wieder an Schwindler gerät, die auf die von ihm ausgesetzte Belohnung aus sind. Schließlich kann er seine Ex-Frau überreden, zu gemeinsamen Treffen
mit einer Gruppe, angeführt von Han Dezhong (Zhang Yi), zu kommen, deren Mitglieder dasselbe Schicksal erlitten haben. Drei Jahre nach der Entführung Pengpengs
geschieht jedoch das Unglaubliche. Tian bekommt einen Tipp, dass sein Sohn in einem Dorf großgezogen wird. Tian und Lu finden Pengpeng und nehmen ihn
der angeblichen Mutter Li Hongqin (Zhao Wei) weg. Die Polizei wird eingeschaltet und es stellt sich heraus, dass Lis verstorbener Mann Pengpeng
enführt hat und Li selbst anscheinend nichts davon wusste. Pengpeng erkennt seine Eltern nicht mehr und möchte zu Li und seiner kleinen Schwester zurück, die
nun in ein Waisenhaus kommt, weil sie wahrscheinlich auch entführt worden ist. Doch Li will nicht aufhören, um ihre Kinder zu kämpfen...
Kritik: "Dearest" scheint auf den ersten Blick ein waschechtes Taschentuchdrama rund um eine Kindesentführung zu sein, doch wie manipulativ der
Film auch vorgehen mag, ab der zweiten Hälfte überrascht das Drama mit einer Wende, die komplexe Fragen aufwirft und den Zuschauer zwingt, jenseits des üblichen,
moralisch sicheren Bodens die Situation zu betrachten. Während zunächst die verschiedenen Aspekte der Eltern, Ängste und Hoffnungen, im Vordergrund
stehen, ergeben sich letztlich mit dem Auftauchen von Li komplexe Emotionen und ein ansprechendes moralisches Dilemma. Der Preis dafür ist, dass die letzte
Stunde des Films sein Augenmerk nicht mehr nur auf eine Geschichte richtet und das Drama damit an verschiedenen Stellen droht, auseinanderzufallen. Aber
speziell die hervorragende schauspielerische Leistung von Zhao Wei weiß das zu verhinden.
Normalerweise sollte eine Wiedergabe des Plots nur das Nötigste vorwegnehmen, doch im Fall von "Dearest" wäre das unangebracht, da so kaum Interesse für den
tatsächlichen Kern der Geschichte geweckt werden könnte. Denn die erste Hälfte des Streifens ist sehr konventionell und drückt durchaus auch mal etwas zu
sehr auf die Tränendrüse. Das bedeutet nicht, dass das Drama darin nicht effektiv wäre, aber die stark manipulativen Eigenschaften des Films können durchaus
störend sein. So fällt vor allem auf, dass viele dramatische Szenen handwerklich äußerst gut umgesetzt sind, aber dieser Umstand in fast schon zu langen
Szenen unnötig zelebriert wird. Das spiegelt sich in den Kameraeinstellungen als auch dem streicherlastigen Soundtrack wider. Dennoch zeigt sich schon in der
etwas einfacheren ersten Hälfte, dass "Dearest" vielschichtiger ist, als man zunächst annehmen mag.
Seine panische Suche nach Pengpeng treibt Tian, gelungen porträtiert von Huang Bo ("Cow", "Lost in
Thailand"), emotional natürlich an den Abgrund, immer wieder gerät er aber auch an Schwindler, die seine verzweifelte Lage
ausnutzen wollen, um an die Belohnung zu kommen. Darüber hinaus besucht er eine Selbsthilfegruppe, deren Leiter Han, hervorragend gespielt von Zhang Yi,
anderen zeigt, was es bedeutet, nicht aufzugeben, aber später daran zu zerbrechen droht, dass Tian sein Kind zurückbekommen hat und er nicht. Diese
Nebengeschichte bereichert den Film um einiges, auch wenn sie wie eigentlich alles im Drama seine wahre Stärke erst in der zweiten Hälfte ausspielen kann.
Die Szene, in der Tian und seine Frau ihren Sohn "zurückentführen" stellt eine Zäsur in "Dearest" dar. Die zu lang geratene Szene, in der die Eltern mit ihrem
Kind vor der ihnen verzweifelt hinterherrennenden neuen Mutter davonrennen, lässt außerdem bereits erahnen, dass der Film anders als bei ähnlichen Werken
nicht einfach ein Happy End finden wird.
Denn bereits hier lässt sich erkennen, dass Lis Gefühle für ihren Sohn echt sind. Die Person, die eigentlich hassenswert sein müsste, gewinnt dann letztlich
sogar unsere Sympathien und uns wird schnell klar, dass es keine Lösung geben wird, die alle Beteiligten glücklich machen wird. Pengpeng erkennt seine wahren
Eltern nicht und möchte zu seiner Ziehmutter, diese wiederum bestreitet zwar recht glaubhaft, von der Entführung gewusst zu haben, aber da sie zumindest bei
der ersten Befragung bereits gelogen hat, weiß man nicht, wie glaubhaft sie tatsächlich ist. Dann ist da auch noch eine weiteres kleines Mädchen, das
augenscheinlich von der Straße aufgelesen und von Li wie eine eigene Tochter großgezogen wurde, doch die Umstände machen eine offizielle Adoption natürlich
unmöglich. Zhao Wei ("Painted Skin: The Resurrection", "The
Longest Night in Shanghai") gelingt es auf beeindruckende Weise, diesen komplexen Charakter so darzustellen, dass wir ernsthaft mit ihr sympathisieren
können.
Moralisch befindet man sich als Zuschauer damit in einer Zwickmühle. Gewagt ist es von Regisseur Peter Chan ("Wu Xia", "Perhaps Love") durchaus den Schwerpunkt in der zweiten Hälfte zu verrücken und Tians Geschichte in den Hintergrund verschwinden zu lassen. "Dearest" fühlt sich daher etwas zerteilt an, aber es zahlt sich aus. Die Tiefe, die das Drama erreicht, kann sich sehen lassen, speziell durch einzelne kleine Aspekte wie Chinas Ein-Kind-Politik, die aufgegriffen wird. Beim Abspann lässt der Film auch noch die Darsteller mit den tatsächlichen Menschen hinter dieser auf einem wahren Fall beruhenden Geschichte treffen. Das mag ganz interessant sein, aber es unterstreicht einmal mehr den manipulativen Charakter dieses mit 128 Minuten eindeutig zu lang geratenen Dramas. Am Ende bleibt dennoch ein top produziertes Drama, das auf moralischer Ebene Stoff zum Nachdenken bietet.