The Shadow's Edge

Story: Fu Longsheng (Tony Leung Ka-Fai) war Juwelendieb und seit Jahrzehnten von der Bildfläche verschwunden, bis er nun wieder auftaucht und in einer spektakulären Operation einige digitale Güter erbeutet, darunter die Adresse zu einer Wallet, deren Passwörter er nicht hat. Seine fünf "Kinder", die er unter seine Fittiche genommen hat, als sie noch in einem Waisenhaus wohnten, haben bei der Operation aber einiges aufs Spiel gesetzt und die Polizei hätte sie fast erwischt. Einer in ihrem Team ist zum Glück ein Hacker und konnte die Kameras, die überall in der Stadt verteilt sind, unter seine Kontrolle bringen, weshalb die Polizei blind war und die Verdächtigen verloren hat. Die Polizei ist sich im Klaren, dass sie sich nicht mehr auf ihre Technik verlassen kann und holt den Spezialisten Wang (Jackie Chan) aus dem Ruhestand, damit er ein Team zusammenstellt und dieses im Beschatten ausbildet. Wang hat während seiner Dienstzeit nur einen einzigen Fehler begangen, der jedoch seinem Partner das Leben gekostet hat. Bei diesem handelte es sich um den Vater von He Qiuguo (Zhang Zifeng), die nun selbst Polizistin ist und Teil von Wangs Team wird. Das Team steckt noch in seiner Ausbildung, da entdeckt man durch Zufall Fu auf einem Markt. Mit viel Fingerspitzengefühl muss sich das Team nun an seine Fersen heften, um seinen Unterschlupf zu finden und mehr über seine weiteren Pläne herauszufinden.

Kritik: Es kommt nicht oft vor, dass mich ein Film aus Hong Kong positiv überraschen kann, im Besonderen nicht, wenn Jackie Chan mitspielt. In letzter Zeit hat er eigentlich nur noch Klamauk-Filme gedreht und seit "Kung Fu Yoga" war ich dementsprechend raus. Bei "Panda Plan" aus dem letzten Jahr hat mir das Poster schon gereicht, um nicht einmal mehr in Erwägung zu ziehen, Chans Filmographie weiter zu verfolgen. "The Shadow's Edge" hat mich mit seinem Trailer aber davon überzeugen können, dass wir hier einen ernstgemeinten Actionstreifen bekommen, der an die guten alten Tage Hong Kongs erinnert, ohne dass verpasst würde, alles ein wenig zu modernisieren. Der Ton ist die meiste Zeit düster, das Drama nicht nur Beiwerk und die Geschichte erstaunlich mitnehmend. Kurzum: "The Shadow's Edge" dürfte für viele das Highlight dieses Jahres aus Hong Kong sein. Und das ist besonders überraschend, da Regisseur Larry Yang mit Chan zuvor "Ride On" gedreht hat. Diesmal wird man Slapstick glücklicherweise vergeblich suchen. Dafür darf man sich auf nonstop Action einstellen.

Larry Yang verpasst auch nicht die Chance, den Zuschauer sofort mit einer adrenalingeladenen ersten Mission in den Film zu ziehen. Das Katz-und-Maus-Spiel wird durch gute Schnitte, Einfallsreichtum bei den Fluchtrouten und kurzen, aber knackigen Martial-Arts-Einlagen umgesetzt. Und das alles bevor Jackie Chan überhaupt auf dem Bildschirm zu sehen ist. Yang macht nicht den Fehler, Chan in den Mittelpunkt der Actionszenen zu stellen, wenn es keinen Sinn ergibt. Deshalb darf man zunächst die Fähigkeiten der jungen Generation bestaunen. Im späteren Verlauf muss dann natürlich auch Chan selbst ran. Während seine Kämpfe mit den jugendlichen Kriminellen dank einiger Hilfsmittel/Waffen wenigstens nicht völlig an den Haaren herbeigezogen wirken - Chan ist schließlich mittlerweile 71 Jahre alt -, wirkt das Finale gegen Leung Ka-Fai umso passender, denn hier stehen sich zwei Männer gegenüber, die durch ihre Verbissenheit und Erfahrung hervorstechen und somit das auffangen können, was ihnen an jugendlicher Energie fehlt. Dadurch werden die Auseinandersetzungen auch um einiges HK-typischer: Man hat schlicht den Eindruck, es steht etwas auf dem Spiel und alles könnte passieren.

Unter Umständen mag dem einen oder anderen Zuschauer der Gedanke kommen, dass man die Geschichte des Films irgendwo schonmal gesehen hat. Und das ist absolut korrekt, denn es handelt sich hier um ein Remake bzw. eine Neuinterpretation von "Eye in the Sky". Wie damals ist auch Tony Leung Ka-Fai wieder in der Rolle des Bösewichts zu sehen, Simon Yams Rolle übernimmt nun Jackie Chan. Daneben wird die Geschichte natürlich noch um Gesichtserkennungssoftware und die Berechnung möglicher Fluchtrouten dank KI erweitert. Da aber unter den Gangstern ein Hacker ist, erweisen sich die Kameras eben nicht mehr als zuverlässig und ein "altes Fossil" muss wieder reaktiviert werden. Das passt alles recht gut und gibt dem Original einen neuen Anstrich, der naheliegend ist und damit niemanden stören sollte. Dazu kommt, dass wie erwähnt der Ton weiterhin überraschend ernst und düster bleibt. Das ist vor allem Leung Ka-Fai zu verdanken, dessen Leinwandpräsenz sowohl etwas Bedrohliches hat, der aber auch in ruhigeren Momenten zeigt, dass er ein Mensch mit Gefühlen ist. Speziell seine Beziehung zu seinen Adoptivkindern erweist sich als erstaunlich komplex für einen Actionstreifen und bietet einige dramatische Momente, die nicht einfach hineingeworfen wirken.

Chan wiederum nimmt die Tochter seines Ex-Partners unter seine Fittiche. Dabei muss er sich mit seinen eigenen Schuldgefühlen und den Anschuldigungen von Qiuguo auseinandersetzen. Zhang Zifeng ("High Forces") spielt ihre Rolle manchmal etwas zu sehr wie eine eingeschnappte Teenagerin, aber immerhin sorgt das dafür, dass die "Vater-Tochter"-Beziehung punkten kann. Es gibt ein paar überzeugende Aussprachen und sogar ein wenig Tränen, nichts davon wirkt jedoch deplatziert. Auch hier leistet das Drehbuch also gute Arbeit. In einer Phase der Ermittlungen bändeln auch Bösewicht Fu und Wang miteinander an. Der Nervenkitzel, ob jemand seine Tarnung durch ein unbedachtes Wort auffliegen lassen könnte, da Fu schon vermutet, es könnte sich bei Wang und seiner Tochter um zwei Ermittler handeln, ist sehr schön komponiert und Chan und Leung wirken hier in ihren Rollen am stärksten. Leung hat aber noch ein paar besonders erinnerungswürdige Momente mit seinen "Kindern", da es in der Geschichte selbstverständlich auch um Täuschung, Verrat und die Weitergabe der Fackel an die nächste Generation geht.

"The Shadow's Edge" ist mit seinen fast 142 ein langer Film, er fühlt sich jedoch nie so an. Der perfekte Wechsel von Actionsequenzen, nervenaufreibenden Beschattungen und Drama lässt einem niemals Zeit zum Durchatmen. Die Action wiederum ist hervorragend choreographiert, da sie zum Teil Wert auf spektakuläre Akrobatik legt, an anderer Stelle aber den Kampf ums nackte Überleben in den Fokus stellt. So muss sich Leung Ka-Fai durch eine ganze Horde von Killern mit seinem Messer kämpfen, was dann eben auch erstaunlich blutig ausartet. Bei einem anderen Angriff kommen plötzlich etliche Polizisten ums Leben. Hier wird nichts weichgespült, wie man es vom modernen HK-Kino nur allzu oft sieht. Larry Yang umgeht durch ein geschickt geschriebens Drehbuch die größten Probleme, die durch die chinesische Zensurbehörde drohen, und erschafft am Ende einen Action-Thriller, der wirklich wie ein Hong-Kong-Thriller wirkt. Hier stimmt eigentlich so gut wie alles, was mich etwas kritisch darüber denken lässt, dass gegen Ende eine Fortsetzung angeteasert wird. Für sich genommen ist "The Shadow's Edge" jedenfalls nach langer Zeit ein Action-Thriller aus Hong Kong, den man bedenkenlos jedem wärmstens empfehlen kann.

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