Story: Während einer Drogenübergabe taucht die Polizei auf und einer der Gangster (Song Honglei) schafft es mit Hilfe einer Geisel
zu entkommen. Seine Geisel ist ein kleines Mädchen, weshalb er es nicht über das Herz bringt, sie später zu töten. Bei seinem Boss angekommen kann er ihr
Leben retten, indem er sie als Tauschmittel gegen den Vater seines Bosses vorschlägt. Dieser ist aber tatsächlich bei dem Polizeieinsatz ums Leben gekommen.
Als der Vater (Ni Dahong) des kleinen Mädchens bei den Gangstern als Verhandlungspartner auftaucht, realisiert der Gangster, dass dieser ein Mikrofon der
Polizei trägt. Er sagt seinem Boss jedoch nichts davon und gibt später vor, den Vater zu töten, sodass die Polizei ihn nicht weiter unter Druck setzt. Im
Tausch für seine Tochter soll der Vater die Beute holen, die der Gangster bei seiner Flucht verstecken konnte. Der Vater wird allerdings von der Polizei
erwischt und muss ins Gefängnis. Der Gangster muss sich fortan um das Mädchen kümmern und das ist besonders schwierig, da sein Boss sie tot sehen will.
Also räumt er seinen Boss aus dem Weg und wird selber zum Anführer des Drogenkartells, das in Burma seinen Hauptsitz hat. Zehn Jahre später ist das Mädchen
(Wang Luodan) erwachsen und ihr Vater kommt aus dem Gefängnis frei. Sie will jedoch lieber bei dem Gangster bleiben...
Kritik: Dort, wo Hong Kong qualitativ immer weiter abrutscht, kann China einiges an Boden gutmachen. Zumindest wenn keine patriotischen
Actionstreifen die Kinoleinwand erbeben und die Kinokassen klingeln lassen. "Lethal Hostage" ist jedenfalls ein überraschend düsteres, nihilistisches
Crime-Drama, das mit ruhigen Tönen und stylischen Bildern daherkommt. Ein Film-Noir, der ganz eindeutig sorgfältig strukturiert ist und zu jeder Zeit weiß,
wo er hin will. Das mag den Streifen insgesamt auch etwas manipulativ erscheinen lassen, aber die Reise in diese kalte Gangsterwelt ist gerade deshalb so
faszinierend, weil die Protagonisten unter ihren starren Masken keinesfalls so kalt sind. So steht hier speziell die Beziehung zwischen dem Gangster und
seiner Ziehtochter im Fokus, die zwar ein klarer Fall von Stockholm Syndrom ist, aber unter der Oberfläche einiges liefert, was den Film so gut
funktionieren lässt.
Zunächst einmal fällt auf, dass der Film uns in Form von vier Kapiteln und einem Prolog präsentiert wird. In diesen Kapiteln stehen verschiedene Charaktere im
Vordergrund, es wird durch Zeitebenen gesprungen und dennoch sind die Geschehnisse, sind erst einmal die Charaktere etabliert, an keiner Stelle schwierig
zu verstehen. Verwirrende Schnitte, um das Werk komplexer erscheinen zu lassen, als es ist, sind ein billiger Handgriff dessen sich Regisseur Cheng Er
nicht bedienen muss. Die Geschichte ist auch so vielschichtig genug, speziell da die verschiedenen Plots wunderbar ineinander verwoben sind. Man
bekommt nie den Eindruck, dass man sich zu lange bei einer der Geschichten aufhalten würde, und obwohl ganz klar ist, bei welcher von ihnen der Fokus liegt,
stehen die Nebengeschichten doch gleichberechtigt neben dem Drama um den Gangster und seine Tochter/Geliebte.
Die Art, wie die Geschichten ineinander übergehen, ist wunderbar, und das Feingefühl, mit dem die Beziehung zwischen Gangster und Tochter porträtiert wird,
ist ebenfalls großartig. Sind die beiden letztlich ein Paar oder nicht, spielt keine Rolle und bleibt der eigenen Interpretation überlassen, obwohl der
Schwangerschaftstest doch eindeutig ist. In jedem Fall würden die beiden alles füreinander opfern, wie sich in einer Szene besonders stark zeigt, in der
sich das Mädchen zu ihrem Ziehvater in das Grab legt, das er selbst für sich hat ausheben müssen. Gerade jene Bilder sind es auch, die dem Film seinen
Art-House-Anstrich geben. Dann wiederum gibt es auch solche Szenen, die einem düsteren Crime-Thriller entsprungen sein könnten, nur eben mit einer ruhigen Note.
Es ist demnach eine schwelende Spannung, die uns an den Sitz fesselt. Besonders im Finale wird dies noch einmal deutlich. Die Ruhe, mit der Fragen gestellt
werden, die über Leben und Tod entscheiden, das Abfeuern der Waffen, das Dahinscheiden mancher Personen, das alles ist mit großer Bedacht komponiert
und in ruhigen Bildern eingefangen, die jedoch die nötige Spannung nicht vermissen lassen.
Sun Honglei ("Drug War") lässt in seinem ausdruckslosen Gesicht einige Emotionen vermuten und fließen einmal Tränen in dem
Film, dann geschieht dies, ohne dass dabei melodramatisch geschluchzt würde. So verzieht auch Wang Luodan ("Rise of the
Legend") kaum einen Gesichtsmuskel dabei. Die Arbeit, die man in das Lesen der Emotionen stecken muss, ist stets der Mühe wert, so auch bei
Ni Dahong ("Curse of the Golden Flower"), dessen Charakter ebenfalls eine Vielzahl von Emotionen auszeichnet;
schließlich wurde ihm die Tochter genommen und gleichzeitig ihr und sein Leben gerettet - von ein und demselben Mann. Wo das alles enden soll, ist leider
aber doch etwas vorhersehbar, denn Chinas Zensurbehörde lässt nur wenig Spielraum. Diesen nutzt Cheng Er für seinen Film aber sehr gut. Der Twist
gegen Ende lässt darauf hoffen, dass China vielleicht bald sogar noch mehr Freiheiten gibt. Denn dass das Ende so durchging, ist doch recht überraschend.
Neben dem guten Schauspiel überzeugen vor allem die Bilder. "Lethal Hostage" ist sorgfältig komponiert und zusammengesetzt. Die stete Spannung wird weiterhin von einem sehr gelungenen Soundtrack von Chen Weilun unterstützt. Bei all den lobenden Worten darf aber nicht verschwiegen werden, dass der Film trotz seiner 96 Minuten und des subtilen Spannungsgehalts auch ein klein wenig langatmig werden kann. Speziell in der zweiten Hälfte baut das Tempo unnötig ab. Die subtile Note dieses Film-Noirs macht ihn aber zu etwas Besonderem und verleiht ihm eine Substanz, die man in dem Genre aus China normalerweise nicht bekommt. Auch wenn der Film manchmal beinahe zu rund komponiert wirkt, kann man nicht umhin, "Lethal Hostage" ohne Umschweife zu empfehlen. Und mit Cheng Er hat China einen Regisseur, der eine rosige Zukunft vor sich haben dürfte.