Story: Bae Min-tae (Ha Jung-woo) war früher Gangster, doch nachdem er im Gefängnis gesessen hat, um einen Angriff gegen seinen Bruder zu rächen, hat er dieses Leben hinter sich gelassen und arbeitet auf einer Baustelle. Eines Tages kann er aber seinen Bruder Seok-tae nicht erreichen und so stellt er Nachforschungen an. Er geht zu seinem ehemaligen Boss Chang-mo (Jeong Man-sik), für den sein Bruder arbeitet. Dieser teilt ihm aber mit, es sei nicht das erste Mal, dass Seok-tae einige Tage von der Bildfläche verschwindet. Allerdings ist auch Seok-taes Frau Moon-young (Yoo Da-in) nicht auffindbar. Kurze Zeit später muss Min-tae die Leiche seines Bruders identifizieren. Die Polizei befragt auch Min-tae und warnt ihn, sich auf keinen Rachefeldzug zu begeben. Aber Min-tae durchsucht bereits die Wohnung seiner Schwägerin und erfährt, dass die Polizei tatsächlich die Ehefrau des Opfers als Hauptverdächtige einstuft. Bei seinen weiteren Nachforschungen zum Aufenthaltsort von Moon-young trifft Min-tae einen Bestseller-Autor (Kim Nam-gil), der auch von der Polizei befragt wurde, weil die Verdächtige in seinen Vorlesungen war und eventuell eine intimere Beziehung zu ihm pflegte. Es stellt sich heraus, dass das Buch des Schriftstellers starke Parallelen zu Seok-taes Tod aufweist. Sowohl die Polizei als auch Min-tae versuchen herauszufinden, warum dies so ist. Gleichzeitig sucht der Autor nun ebenfalls verzweifelt nach der verschwundenen Moon-young.
Review: Die Einleitung dieses Noir-Thrillers verspricht eine blutige Rachegeschichte, doch was uns stattdessen im Anschluss erwartet, ist ein erstaunlich gemächlicher "Detektiv"-Krimi, in dem der Fokus darauf liegt, den Aufenthaltsort der Schwägerin ausfindig zu machen. Die Ermittlungen des Antihelden verlaufen konstant vorwärts, allerdings in einem Tempo, dass sich schnell Enttäuschung einstellt. Wer hier einen brutalen Rachefeldzug erwartet, wird nichts für sein Geld bekommen, denn es gibt höchstens zwei erwähnenswerte Actionszenen, in denen sich Min-tae mit seiner Lieblingswaffe, einer Stahlstange, durch eine kleine Gangsterhorde prügelt. Aber diesen Gewaltausbrüchen mangelt es an echter Notwendigkeit. Sie bringen den Film auf emotionaler Ebene kaum voran, sondern wirken so, als hätte man sie in die Geschichte geworfen, weil das halt einfach zum Genre dazugehört. Und dann ist da das größte Manko von "Nocturnal": Der Antiheld hätte weiter ausgearbeitet werden müssen, sodass wir nachempfinden können, warum er nach dem Tod seines Bruders so am Boden zerstört ist und alles daransetzt, die vermeintliche Mörderin zu finden. Anfangs können wir dem Protagonisten auch genau diese Art von Sympathie entgegenbringen. Je mehr die Geschichte voranschreitet, desto weniger können wir jedoch Min-tae anfeuern.
Die Geschichte baut also nicht darauf auf, dass wir einen Antihelden haben, der aus nachvollziehbaren Gründen etwas Schreckliches tun will. Vielmehr entfremdet uns die Geschichte immer weiter von ihm. Seine weiteren Motive, inneren Gedankenvorgänge oder seine Liebe zu seinem Bruder wird nicht beleuchtet. Und so müssen wir uns fragen, warum er immer noch mit der gleichen Verbissenheit nach der Schwägerin sucht, selbst nachdem er erfahren hat, dass sein Bruder seine Frau misshandelt hat und ein Drogensüchtiger war. Genau genommen erfährt dies der Zuschauer, für Min-tae sind das keine neuen Informationen. Damit wird es unmöglich, mit ihm mitzufiebern, und spätestens ab der zweiten Hälfte muss man sich fragen, wer eigentlich der Fokus der Geschichte sein soll und mit wem wir sonst sympathisieren sollen. Da bleibt eigentlich nur der Autor, der aber dermaßen zweidimensional bleibt, dass er hauptsächlich dafür verantwortlich ist, die Story voranzutreiben, schließlich kannte er die gesuchte Frau und könnte damit eher wissen, wo sie sich aufhält. Man hätte ja wenigstens eine ordentliche Konfrontation zwischen ihm und Min-tae erwarten können, aber auch die hat der Drehbuchschreiber äußerst unspektakulär abgehandelt.
Der Held oder Antiheld der Geschichte entpuppt sich also als Bösewicht. Dass der Film damit nicht komplett auseinanderfällt ist Darsteller Ha Jung-woo ("Hijack 1971") zu verdanken, der sein natürliches Charisma spielen lässt, welches gerade bei Gangstercharakteren gut zur Geltung kommt. Daneben überrascht im Film nur noch Jung Man-sik ("I, te Executioner") in der eigentlich eher typischen Rolle eines Gangsterbosses - man hätte gerne mehr von ihm gesehen. Und auch das Verhältnis des Gangsterbosses zu Min-tae, der früher für ihn gearbeitet hat, hätte mehr Ausarbeitung verdient. Letzten Endes mangelt es dem Film einfach an zwischenmenschlichen Beziehungen. Wir bekommen auch nur eine richtige Rückblende, in der wir Min-tae und seinen Bruder sehen. Wie sollen wir da einen Eindruck von der Beziehung zwischen ihnen bekommen? Das sorgt wenig überraschend auch dafür, dass das Finale unspektakulär daherkommt und keinerlei emotionales Gewicht aufweist. Es gibt einfach nichts, was in "Nocturnal" nahegehen kann, und das, obwohl der Originaltitel des Thrillers "Broken" ist, sodass man hätte annehmen können, der Tod des Bruders würde Min-tae über Maßen mitnehmen.
Bei dem Rest bekleckert sich das Drehbuch auch nicht gerade mit Ruhm. Die Polizei ist irgendwie auch noch im Spiel, aber weder der leitende Detective noch die weibliche Ermittlerin, die zum Fall dazugezogen wird und damit verspricht, die Dinge endlich ins Rollen zu bringen, tragen wirklich etwas zur Geschichte bei. Nachdem die Ermittler eine Weile den Entwicklungen hinterhergestolpert sind, beschließen sie sogar geradewegs, dem Autor und Min-tae zu folgen. Vielleicht bringen diese sie ja ans Ziel. Dann ist da noch der Umstand, dass die Identität des Mörders geklärt werden muss. Das ist schnell geschehen, aber daran glaubt man natürlich nicht. Es muss noch einen Twist geben. Dieser ist aber keineswegs augenöffnend. Neben dieser Enttäuschung muss man zuvor aber einen langen Atem haben, weil über weite Strecken kaum etwas passiert. Ein paar Mal gehen Min-taes Nachforschungen auch nur weiter, weil zufällig jemand in einem Imbiss oder Café auftaucht, der dann den Namen der Schwägerin fallenlässt. Das kann man kaum als gutes Storytelling bezeichnen. Daneben gibt es noch andere Ungereimtheiten, beispielsweise warum jeder, wie es ihm beliebt, Moon-youngs Wohnung betreten kann. Das wird fast schon zu einem Running-Gag.
Kim Jin-hwang, der sich nicht nur für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, sondern auch für die Regie, kann seinen Film auch auf regietechnischer Ebene nicht vor der Mittelmäßigkeit retten. Hinsichtlich seiner Atmosphäre ist der Streifen unspektakulär - ein Wort, das in dieser Kritik nicht ohne Grund häufig verwendet wird - und leider kann auch keine individuelle Atmosphäre aufgebaut werden. Es ist, als hätte man versucht, sich an den wichtigsten Vertretern des Genres zu orientieren, dabei aber vergessen zu erkennen, dass es in diesen hauptsächlich um die Emotionen geht, welche ein Band zum Zuschauer aufbauen können. Und sei es auch nur ungezügelte Wut. Da es davon in "Nocturnal" nichts gibt, ist man als Zuschauer irgendwann recht orientierungslos und auch ein paar blutige Szenen wirken somit nur lieblos hineingeworfen. Eigentlich kann man diesen Thriller nicht einmal als langweilig bezeichnen. Ha Jung-woo trägt den Film irgendwie den holprigen Weg über, aber am Ziel angekommen, realisieren wir, dass in diesem Streifen nichts Außergewöhnliches steckt. Eine Empfehlung verdient das sicherlich nicht.