Story: Tung (Shawn Yue) leidet an einer bipolaren Störung. Er war ein Jahr lang in einer Nervenheilanstalt und soll nun wieder in die Gesellschaft
integriert werden. Sein Vater (Eric Tsang) holt ihn zu sich nach Hause, ein kleines Zimmer in Hong Kong, das die beiden sich fortan teilen müssen. So wie alle anderen
Menschen um Tung versteht auch sein Vater seine Krankheit nicht. Der Vater rechnet damit, dass sein Sohn gewalttätig werden könnte, tatsächlich will Tung aber nur wieder
ins Leben finden. Auslöser seiner Krankheit ist der Tod seiner Mutter (Elaine Jin), der nach einem Gerichtsurteil ein Unfall war. Tung hat sich alleine um seine Mutter
gekümmert, da sein Vater gegangen ist und sein Bruder in die USA ausgewandert ist. Für seine Mutter, die er nicht in ein Heim schicken wollte, obwohl er einige
psychische Grausamkeiten von ihrer Seite erdulden musste, hat er sogar seine Ehe mit Jenny (Charmaine Fong) aufgegeben. Er hofft mit Jenny wieder zusammenzukommen, aber
ganz so leicht ist das nicht. Überdies realisiert er, dass auch sein Vater es nicht leicht im Leben hatte. Langsam baut er eine neue Beziehung zu ihm auf, aber
dann verschlechtert sich sein psychischer Zustand wieder, sodass es für den Vater fast unerträglich wird und dieser mit dem Gedanken spielt, Tung wieder ins
Krankenhaus einzuweisen.
Kritik: "Mad World" ist ein Charakterdrama, das man so aus Hong Kong vielleicht nicht erwartet hätte. Dem Film haftet auch wegen seines recht
gemächlichen Tempos ein gewisser Indie-Flair an, was auch nicht verwundert, denn im Großen und Ganzen handelt es sich um genau einen solchen Film. Allerdings
lässt sich so etwas an den Bildern, die hier sehr poliert und sicher eingefangen sind, heutzutage nicht mehr ausmachen. Und mit Shawn Yue und Eric Tsang sind des
Weiteren Top-Darsteller für den Film an Bord geholt worden. Das Drama erzählt aber nicht nur etwas über die Psyche eines Individuums, sondern wirft einen Blick
auf die sozialen Missstände in der Hong Konger Gesellschaft. Da die Geschichte mit äußerster Vorsicht konstruiert ist, überladen die diversen Themen den Film
keineswegs und man entdeckt stets etwas Neues. So wird dieses Drama tatsächlich nie langweilig.
Zunächst glaubt man, ein Drama vorzufinden, in dem uns gezeigt werden soll, dass sowohl Vater als auch Sohn leiden und so schließlich zueinander finden. Beide
bereuen Entscheidungen in ihrem Leben und suchen nach Vergebung. Auch wenn dies nicht falsch sein mag, lässt Regisseur Wong Chun seine Geschichte nicht so
altbekannt wirken, wie sich dies hier anhören mag. Schön sind vor allem die diversen Grauzeichnungen. Denn zuerst mag der Zuschauer glauben, dass mit Tung etwas
nicht stimmt, schließlich ist er in der Psychatrie gewesen und seine Mutter ist unter eigenartigen Umständen gestorben, aber schon bald erkennen wir, dass die
Menschen um Tung eigentlich noch eigenartiger sind als er. Um genau zu sein, versteht niemand seine Krankheit und selbst sein Vater weiß nicht, wie er mit seinem
Sohn umgehen soll. Er hat sogar einen Hammer unter seinem Kissen, falls er sich gegen Tung verteidigen muss.
Es tut natürlich weh, so etwas zu sehen und Tung kann einem deshalb nur leidtun. Es wird für ihn auch nicht einfacher, da sein apathisches Starren auf den Fernseher
oder sein Zusammenbruch vor einem Schokoriegel-Regal anderen natürlich nur Angst machen kann. Was man nicht versteht, fürchtet man, und kaum einer kennt sich mit
bipolarer Störung aus. Da es bei dieser Krankheit zwei Extreme gibt, d.h. nicht nur depressive Schübe, sondern auch solche der Euphorie, ist es etwas eigenartig, dass
letztere vergleichsweise selten auftauchen. Andererseits kann man es auch verstehen. Wahrscheinlich wollte Regisseur Wong bzw. Drehbuchschreiber Florence Chan
vermeiden, durch ein häufiges Hin- und Herwechseln die Glaubwürdigkeit der Geschichte aufs Spiel zu setzen oder ins unfreiwillig Komische abzugleiten. Im Endeffekt
bleibt das Leiden der Charaktere jedenfalls zu jeder Zeit glaubwürdig. Das ist auch den herausragenden Darstellern zu verdanken.
Shawn Yue ("Wild City") gibt eine wirklich gute Figur ab und vermag es speziell den Szenen, in denen er depressiv ist, Nuancen zu
verleihen, obwohl der Spielraum, in dem er wirken kann, selbstverständlich durch seine Krankheit recht klein ist. Es gibt aber auch Momente, in denen er aus sich
herauskommt und dass diese nicht in einem unglaubwürdigen Gegensatz zum Rest stehen, ist auch sein Verdienst. Nicht weniger beeindruckend ist Eric Tsang
("Aberdeen") als Vater, der extrem natürlich in seiner Rolle wirkt. Gerade in den Szenen, in denen der Vater nicht weiß, wie er reagieren soll,
beweist Tsang ein Gespür für Authentizität. "Mad World" gibt auch immer wieder Einblicke in die Vergangenheit und wie Tung unter den seelischen Grausamkeiten seiner
kranken Mutter zu leiden hatte und was er alles für sie aufgegeben hat. Schließlich hat ihn auch seine Freundin deswegen verlassen. Der Schnitt ist überdies sehr gut
gelungen und lässt alles zu einem Ganzen zusammenwachsen.
So können auch andere Themen, die nur am Rande exploriert werden, in "Mad World" unterkommen. Da wäre die wirtschaftliche Situation einfacher Arbeiter in Hong Kong, die schreckliche Situation auf dem Wohnungsmarkt, der spekulative Handel der Banker, virale Videos und sogar Religion als Weg, um eine - hier unehrlich wirkende - Vergebung zu erlangen. Im Endeffekt mag das Drama dadurch vielleicht doch etwas von seinem charakterzentrierten Schwerpunkt abkommen, aber keineswegs so sehr, wie dies in den Händen eines weniger begabten Regisseurs unweigerlich der Fall gewesen wäre. Das Tempo mag manchmal etwas gemächlich sein und das Ende gibt uns selbstverständlich keine Musterlösung mit auf den Weg, aber letzteres macht die Geschichte nur umso glaubwürdiger. Kein Wunder also, dass "Mad World" bereits einige Preise abgeräumt und speziell Regisseur Wong Chung ins Rampenlicht gestellt hat. Es ist schön, aus Hong Kong auch mal etwas tiefgründigere Dramen zu sehen.