Story: Keiichi Kaburagi (Ryusei Yokohama) wird an einem Tatort blutüberströmt und mit einer Sichel in der Hand angetroffen. Er soll die Familie niedergemetzelt haben, die dort wohnt, doch er beteuert seine Unschuld. Die einzige Zeugin ist traumatisiert und der ermittelnde Detective Matanuki (Takayuki Yamada) bekommt von der Zeugin bald die Aussage, die er braucht, um Kaburagi ins Gefängnis zu stecken. Der 18-Jährige wird zum Tode verurteilt. Doch drei Jahre später gelingt es ihm, aus dem Gefängnis zu fliehen. Er arbeitet fortan auf einer Baustelle und freundet sich langsam mit seinem Kollegen Nonomura (Shintaro Morimoto) an. Da die Polizei aber unter Hochdruck sowie unter Zuhilfenahme der Bevölkerung und Medien steckbrieflich nach dem Geflohenen sucht, kommt Nonomura bald hinter seine wahre Identität. Kaburagi muss erneut sein Aussehen ändern und sich eine andere Arbeit suchen. Er verdient schließlich als Freelancer für eine Online-Zeitung seinen Unterhalt. Dort will ihn Ando (Riho Yoshioka) dazu überreden, in Vollzeit für die Firma zu arbeiten. Als sie ihn dann eines Tages durch Zufall auf der Straße trifft, lädt sie ihn zum Essen ein und findet heraus, dass er momentan keine Bleibe hat. Sie bietet ihm an, eine Weile bei ihr unterzukommen und die beiden freunden sich mit der Zeit an. Aber auch diesmal ist Kaburagi nicht vorsichtig genug und die Polizei ist ihm wieder auf den Fersen ...
Kritik: "Faceless" ist einer jener Thriller, die das Vertrauen in das Rechtssystem beleuchten und dabei kritisieren wollen, wie schlampig oder von politischer Agenda getrieben manche Untersuchungen ausfallen können, sodass am Ende Unschuldige hinter Gittern landen. Vielleicht mag man ganz zu Beginn noch ein wenig daran zweifeln, ob Kaburagi nicht vielleicht doch der Bösewicht ist, aber der Film schafft schnell Gewissheit, was für die meisten auch ganz praktisch sein dürfte. Denn wer hat schon Lust, mit einem Mörder zu sympathisieren. Da müssten die Umstände und das Drehbuch passen und darstellerisch müsste jede Nuance sitzen. So schwer macht es sich "Faceless" aber nicht, sondern tritt lieber in die Fußstapfen von "Auf der Flucht". Bald realisieren wir auch, dass der Film etwas Episodenhaftes mit sich bringt, da Kaburagi immer wieder aufs Neue weiterziehen und sein Aussehen ändern muss. Die Menschen, die er dabei trifft, lassen zusammen mit seiner jeweils neuen Identität stets neue Facetten seines Charakters durchscheinen, und so ist vielleicht der größte Spaß am Film, nach und nach die "wahre Identität" (so auch der Originaltitel) des verurteilten Mörders zusammenzusetzen. Wer dagegen erwartet, dass er einen Thriller bekommt, in dem das Rätsel um den echten Mörder geklärt wird, dürfte ziemlich enttäuscht werden.
Die Story geht recht gut ins Detail und arbeitet stark mit den Charakteren, was auch darauf zurückzuführen sein dürfte, dass sie auf einem Roman von Tamehito Somei basiert. Sie wurde bereits 2022 als vier Episoden umfassende Serie produziert, in der jetzigen Verfilmung wirken die Schnitte zwischen den einzelnen Orten aber nicht so hart, wie man das befürchten könnte, was wiederum hoch anzurechnen ist. Die einzelnen Individuen, die der angebliche Mörder trifft, vermögen auch, in der ihnen gegönnten kurzen Zeit genug Ecken und Kanten zu entwickeln, sodass sie nicht vergessenswert sind. Immerhin wird dabei schon einmal Saki, die gerade mit der Schule fertig ist, zwischenzeitlich kurz vorgestellt, damit sie nicht am Ende plötzlich wie nachträglich in den Film geworfen wirkt. Der Übergang zwischen dem Bauarbeiter Nonomura und der Journalistin Ando ist gelungen genug, dass man sich nicht wie in einem anderen Film fühlt. Fokus liegt vor allem auf Kaburagis Beziehung zu Ando, die einen romantischen Einschlag bekommt, aber nie platt wird. Ando ist dann auch der Motor, der gegen Ende alle drei Personen zusammenführt. Denn keiner der drei glaubt, dass Kaburagi ein Mörder sein kann - dafür ist er schlicht zu nett und bereichert das Leben der Menschen um sich zu sehr.
Enttäuschung gibt es aber bei den Ermittlungen der Polizei. Takayuki Yamada ("Monsterz") spielt den Detective, der dem Protagonisten hinterherjagt, und obwohl klar ist, dass er nur auf Anweisung von oben arbeitet und genau genommen ein Feigling ist, der sich für die Wahrheit nicht interessiert - und dazu kennt er sie sogar -, ist er nicht einmal hassenswert. Das soll er wohl auch nicht sein, aber statt ihm ein paar differenzierte Charakterzüge zu verleihen, bleibt er hölzern. Damit verpasst der Film, für einen ordentlichen Gegenspieler zu sorgen. Ebenso wenig gelungen ist, dass Kaburagi eigentlich sogar nach dem wahren Killer sucht bzw. nach jemandem, der seine Unschuld beweisen kann. Das ist aber keineswegs sinnvoll in die Geschichte integriert und wirkt gegen Ende auch etwas forciert. Insgesamt sollte man sich von dem Finale auch nicht allzu viel erwarten, aber da es sich hier um keinen Actionfilm handelt, dürften das auch die wenigsten. Immerhin gibt es ein paar wenige Verfolgungsjagden, in denen die Kamera nah am Geschehen bleibt und so das Gefühl des Gehetztseins ordentlich einfangen kann. Ein wenig Drama ist am Ende übrigens vorprogrammiert. Hier soll der Film außerdem von der Buchvorlage abweichen, aber das passt wohl besser zum generellen Ton des Films.
Die Geschichte lastet hauptsächlich auf den Schultern von Hauptdarsteller Ryusei Yokohama ("Village"), aber dieser kann problemlos abliefern. Das ist eine besondere Leistung, weil Kaburagi immer wieder ein wenig anders in seinen Rollen sein muss, die er spielt, um nicht entdeckt zu werden. Daneben muss er aber auch erkennbar im Kern die gleiche Person bleiben. Zum Schluss ist es fast schon eine Art Katharsis, den echten Kaburagi zu sehen, auch wenn ein wenig mehr, schöner gewesen wäre. Darüber hinaus muss nicht nur das vorhersehbare Drama kritisiert werden, sondern auch, dass hier scheinbar mehrere Epiloge hintereinander geschaltet wurden. Das wird ein wenig ermüdend. Regisseur Michihito Fujii ("The Parades") beweist aber ein gutes Händchen, das Drama angemessen einzufangen, ohne zu melodramatisch zu werden. Vielleicht mag das aber auch ein wenig stören, denn es soll ja Zuschauer geben, die gerne mal eine Träne vergießen. Das mag hier etwas schwierig werden. Nichtsdestotrotz ist das Ende zufriedenstellend, da es offensichtlich das erreicht, was es sich zum Ziel gesetzt hat.
Wenn alles gesagt und getan ist, muss man sich aber fragen, ob "Faceless" nicht den sozialkritischen Ton etwas besser hätte ausfeilen können. Es wäre zudem auch nicht unmöglich gewesen, die Suche nach dem wahren Killer spannend in den Film zu verbauen. Zugegeben, es bringt ein wenig frischen Wind in die Sache, dass der Killer einfach so wieder auftaucht. Und dass man ihn lieber einen Copycat-Killer nennt, als die naheliegendste Erklärung in Betracht zu ziehen, ist auch ziemlich bezeichnend. Aber man bleibt uns an dieser Stelle doch so einiges schuldig. Als Charakterdrama mit gut geschriebenen Individuen funktioniert "Faceless" jedoch und wird zudem nie langweilig. Man kann sich leicht vorstellen, dass der Stoff vielleicht noch ein weiteres Mal als Serie umgesetzt wird und dann um einige Episoden erweitert wird. Dann könnten die Charaktere ein wenig mehr Zeit bekommen und auch die Jagd nach dem wahren Mörder könnte etwas weiter in den Vordergrund geschoben werden, ohne dass dabei den Individuen Bildschirmzeit genommen würde. "Faceless" bleibt aber ein durchaus empfehlenswertes Thriller-Drama, das erstaunlich lebensbejahend ausfällt.