Story: Nach einem Streit zwischen zwei Autofahrern, bei dem einer der beiden vom anderen überfahren wird, muss der Arzt Jae-gyoo (Jang Dong-gun) um das Überleben der Tochter des Getöteten kämpfen, da sie bei dem Vorfall schwer verletzt wurde. Jae-gyoos Bruder Jae-wan (Sul Kyung-gu) ist ein erfolgreicher Anwalt und muss den Mörder vertreten, welcher der Sohn eines reichen Geschäftsmanns ist. Der Anwalt trifft bei einem Essen seinen Bruder, um nicht nur über den Fall zu diskutieren, sondern auch über die Unterbringung der gemeinsamen Mutter in einem Seniorenheim. Momentan lebt die an Demenz Erkrankte bei Jae-gyoo und seine Frau Yeon-kyeong (Kim Hee-ae) kümmert sich zusammen mit einem Hausmädchen um sie. Zwischen Yeon-kyeong und der weitaus jüngeren Ehefrau des Anwalts Ji-soo (Soo Hyun) gibt es Differenzen. Doch gleichzeitig ist sie nicht abgeneigt, ihre Schwiegermutter in einem Seniorenheim unterzubringen, weil sie sich auch um ihren Sohn Si-ho (Kim Jung-chul) kümmern muss. Dieser trifft sich häufiger mit Hye-yoon (Hong Ye-ji), der Tochter des Anwalts aus erster Ehe. Si-ho kommt eines Tages sehr spät nach Hause. Seine Mutter denkt sich zunächst nichts dabei, allerdings macht in den Nachrichten bald ein Video die Runde, in dem zwei Teenager auf einen Obdachlosen eintreten. Dieser liegt nun auf der Intensivstation und die Eltern der beiden Kinder erkennen Si-ho und Hye-yoon in dem Video wieder. Nun müssen die Eltern eine schwierige Entscheidung treffen ...
Review: Schon nach nur ein paar Minuten im Film wird klar, dass man hier ein Krimi-Drama vor sich hat, das einen mit seinem Rhythmus sofort vereinnahmen kann. Ein hohes Tempo ist schließlich nicht immer nur über adrenalingeladene Action zu erreichen. In "A Normal Family" sorgen die zahllosen Wendungen und der Blick auf den moralischen Kompass der verschiedenen Figuren dafür, dass die knapp zwei Stunden nur so dahinrauschen. Die schwelenden psychologischen Konflikte, die sowohl mit sich selbst als auch anderen ausgetragen werden müssen, sorgen für enorme Spannung, zumal wir uns dank der großartigen Besetzung tatsächlich für jeden einzelnen der vier Hauptfiguren interessieren. Die Geschichte ist auf moralischer Ebene fordernd, da sie u.a. die Frage aufwirft, was man tun würde, wenn das eigene Kind zum Verbrecher wird. Die eigenen Überzeugungen, so klar sie anfangs noch scheinen mögen, verändern sich im Verlauf der Geschehnisse auf natürliche Weise. Das Bild vom geldbesessenen Anwalt und seiner jüngeren Trophäenfrau sowie dem Arzt und seiner Frau, die sich stets für soziale Projekte einsetzen, lässt nicht ansatzweise so viel über den wahren Charakter der Personen herausfinden, als man annehmen würde.
"A Normal Family" begeistert mit seiner komplexen Geschichte, die nicht auf verschachtelten Geschehnissen basiert, welche erst nach und nach geklärt werden, sondern indem die Psyche der Figuren immer weiter ausgeleuchtet wird. Das Spannungsverhältnis, in dem die beiden Familien bzw. Brüder zueinanderstehen, erzeugt eine ungemeine Dynamik. Kein Wunder, basiert die Geschichte doch auf dem niederländischen Roman "Angerichtet" von Herman Koch. Allerdings muss man dazu sagen, dass der Film bereits 2013 als "The Dinner" mit Richard Gere verfilmt wurde. Herman Koch selbst ist nach der Premiere schnell verschwunden, weil er den Film überhaupt nicht gemocht hat - genauso wenig wie die Kritiker oder das Publikum. Die moralische Keule, mit der die amerikanische Verfilmung um sich geschwungen hat, ohne dabei den Zynismus der Vorlage einzufangen, war einer der größten Probleme. Die koreanische Adaption vermag nicht nur den schwarzen Humor zu treffen, sondern auch die Geschichte auf gelungene Weise in die koreanische Kultur mit seinen immer noch stark patriarchalischen Zügen einzubetten. Die Grundprämisse bleibt aber die gleiche: Wie weit darf Elternliebe gehen? Wann schadet man mit dieser mehr, als dass man hilft?
Die Geschichte spielt die meiste Zeit in Innenräumen, was zuweilen eine leicht klaustrophobische Atmosphäre erzeugt. Produziert ist der Film dabei sehr edel und der Regisseur weiß zu jeder Zeit, wo er hin will und welchen Ton er erzeugen möchte. Etwas anderes wäre aber auch schlecht vorstellbar gewesen, denn Altmeister Hur Jin-ho ("Christmas in August") steht hier hinter der Kamera. Auch der Schnitt leistet sein Übriges, sodass das Tempo stets hoch bleibt. Hur Jin-ho verliert vor allem niemals aus den Augen, dass es um die einzelnen Individuen, ihre Gedanken und Überzeugungen geht. Um nur ein Beispiel von vielen zu nennen: Die junge Ehefrau Ji-soo scheint eine oberflächliche Person zu sein, die auf ihre Fitness bedacht ist und verzweifelt versucht, irgendwie zu dem Bruder ihres Mannes bzw. vor allem dessen Ehefrau ein besseres Verhältnis aufzubauen. Doch auch sie lässt uns letztlich an ihren Gedanken teilhaben und es entfaltet sich ein komplexes Bild darüber, was ihre Ängste und Hoffnungen sind, während sie zeigt, dass sie die Vertracktheit der Problematik nicht nur versteht, sondern sogar noch auf bisher nicht beachtete Aspekte hinweist. Es ist schlicht spannend, den einzelnen Gedanken und Emotionen, die sich den Weg bahnen, zu folgen und Zeuge der Veränderungen der Personen zu werden.
Neben den beachtlichen Leistungen der weiblichen Darsteller sind es aber vor allem Sul Kyung-gu ("Kingmaker") und Jang Dong-gun ("V.I.P."), die mit ihrem subtilen Schauspiel zu jeder Zeit die richtige Note treffen. Verglichen mit "A New Family" wird offensichtlich, wie selten man heutzutage Filme mit gut geschriebenen Charakteren bekommt. Das Krimi-Drama hätte nämlich nicht ansatzweise funktioniert, wenn entweder das Drehbuch oder die Besetzung nicht gestimmt hätte. Letzten Endes muss man uns verkaufen können, dass die Personen ihre Einstellungen auch mal radikal ändern, ohne dass dabei ihre Persönlichkeiten widersprüchlich werden. Wenn es etwas zu beanstanden gibt, dann betrifft das die beiden Kinder. Diese sind, auch der Prämisse geschuldet, um einiges flacher und fallen daher aus dem Rahmen. Gelungen sind jedoch einige der Vorausgriffe. Ein paar Geschehnisse mögen sich anfangs nicht ins Gesamtbild einfügen und lassen fragen, ob der Film überhaupt eine bestimmte Richtung verfolgt, aber wie bereits erwähnt, zeigt sich, dass man damit entweder bestimmte Charaktereigenschaften herausarbeiten oder auf die Probe stellen möchte, sodass sich am Ende ein einheitliches Bild ergibt.
Auch in anderen Bereichen vermag der Film zu punkten. Der Soundtrack von Jo Seong-woo ("April Snow") wirkt oft verspielt und unterstreicht damit den Zynismus, der immer wieder hervorblitzt, erzeugt an anderer Stelle aber wiederum Spannung. Die Sets sind hervorragend gewählt und die drei Abendessen, die jeweils einen Wandel in den Charakteren zeigen, stellen spannungstechnisch Highlights dar, bis uns das Ende so hart und unerwartet trifft, dass man noch eine Weile nach dem Abspann nachsinnen muss. Hur Jin-ho ist damit ein Drama gelungen, dass sich mit einer komplexen Thematik beschäftigt, ohne uns moralisch aufgeladene Antworten zu liefern, welche die Welt ohne ein Spektrum schlicht in Schwarz und Weiß aufteilen. Dafür alleine verdient er heutzutage einen Daumen nach oben. Er lässt dem Zuschauer aber nicht nur Raum, sich selbst Gedanken zu machen, sondern reichert seine Geschichte auch noch mit einer Prise schwarzem Humor an, welche sie leichter verträglich macht. Dazu kommt noch eine tolle Besetzung und wunderbare Regie. Es ist auch selten, dass ein Drama eine solche Dynamik entwickeln kann. Damit bleibt also nur eine klare Empfehlung für "A Normal Family" auszusprechen.