Story: Shin (Shinnosuke Mitsushima) kommt das erste Mal nach Tokyo und wird von den Möchtegern-Filmemachern Jay und Fukami aufgenommen. Als die beiden erfahren, dass Shin noch Jungfrau ist, bringen sie ihn zu Taeko (Kyoko Hinami), die ein sehr freizügiges Leben führt. Doch auch sie hat kein Interesse an dem jungen Mann und stellt die drei lieber ihrer Freundin aus Schultagen Mitsuko (Eri Kamataki) vor. Diese braucht Taekos Meinung nach unbedingt einen Freund, da sie immer noch nicht die Vergangenheit loslassen kann. Taeko und Mitsuko sind seit dem Tod einer Freundin nicht mehr dieselben und ein gemeinsamer Suizidversuch hat ihre Situation nicht besser gemacht. Mitsuko interessiert sich jedoch nicht für Jungen, sondern ist lieber mit dem Geist ihrer Freundin zusammen. Das ändert sich aber, als der Betrüger Murata (Kippei Shiina) auftaucht. Er will sich mit Mitsuko treffen, weil sie ihm vor Jahren Kleingeld geliehen hat. Nun möchte er ihr das Geld zurückgeben. Er gibt sich als erfolgreicher Drehbuchschreiber und Komponist aus und gewinnt das Mädchen tatsächlich für sich. Shin, Jay und Fukami beobachten Mitsuko und nehmen die Treffen von ihr und Murata mit einer Kamera auf. Taeko erkennt den Mann schließlich, denn sie hatte auch eine Beziehung mit ihm. Da er gefährlich ist, will sie ihre Freundin schützen, aber Mitsuko ist schon vollkommen dem Zauber Muratas verfallen. Murata hat dank seines Charmes nicht nur bei den Frauen Erfolg. Mit Gewalt und psychischem Druck wickelt er auch andere um den Finger. Die drei Filmemacher wollen daher sein Leben verfilmen...
Kritik: Wenn Sion Sono von Netflix eine Blankovollmacht bekommt, wie das normalerweise bei dem Streamingdienst üblich ist, kann man sich gut vorstellen, wie der Regisseur keine falsche Rücksicht nimmt, und einfach dreht, was er möchte. Das Resultat ist ein Film, der viele der Elemente beinhaltet, die wir schon aus seinen früheren Werken kennen, aber doch in einer Mischung, die man so noch nicht gesehen hat. Vor allem schafft es "The Forest of Love" einem komplett das Gehirn durcheinanderzuquirlen und teilweise so unerträglich zu sein, dass man am liebsten wegschauen würde. Aber dafür ist einfach zu spannend, was auf dem Bildschirm passiert. Mit seinen 150 Minuten ist der Film auch zweifellos viel zu lang geraten, aber da absolut unvorhersehbar ist, in welche Richtung sich die Geschichte entwickelt, wird es eben nie langweilig. Der Genremix geht nicht wirklich perfekt auf, aber genau das macht den Film auch zu so einer Achterbahnfahrt.
Direkt vorweg sei gesagt, dass "The Forest of Love" nicht für jedermann ist. Sion Sono schafft seine eigene Mischung aus Kunstkino und überdrehter Drama-Komödie. Es wird bei ihm oft laut, die Darsteller übertreiben mit dem Schauspiel, aber dadurch wird es nicht peinlich oder unglaubwürdig, wie in anderen Produktionen. Stattdessen fühlt man sich in eine Parallelwelt verfrachtet, in der dies gang und gäbe ist. Vielleicht liegt dieses Gefühl auch darin begründet, dass die Filmwelten des Regisseurs irgendwo zwischen unserer Realität, dem Wahnsinn und einem Ort des Rückzugs in unserer Fantasie anzusiedeln ist. Diesmal ist es teilweise jedoch sehr schwer zu ertragen, was wir zu sehen bekommen. Macht, Dominanz, Sadomasochismus, Mord, Liebe - all das ergibt einen explosiven Cocktail, der uns in einen Strudel zieht, dem man gerne entgangen wäre. Doch am Ende hat man das Gefühl einen Film gesehen zu haben, den man eine Weile nicht vergessen wird. Daneben bleibt außerdem stets die Frage: Wie kann das, was wir hier sehen, auf einer wahren Geschichte basieren?
Um fair zu sein, muss man sagen, dass Sion Sono sich etliche Freiheiten nimmt und das meiste eben nicht Teil unserer Realität ist. Sein Trip in den Wahnsinn nimmt sich (wie gewohnt) ohnehin viel Raum für Kreativität. Der Film ist zwar in Kapitel untergliedert, aber eigentlich geben diese dem Werk auch nur halbwegs eine Struktur. Der Regisseur springt auf der Zeitachse genauso hin und her wie zwischen den Charakteren. Daneben klappert er unzählige Themen ab: es geht um Traumata, sexuelle Perversion, das Opfer, dass man für künstlerische Freiheit geben muss, und die seelischen Abgründe der Menschen. Immer wieder fragt man sich anstelle der Charaktere, wie alles nur soweit kommen konnte? Nun, zunächst einmal ist keiner der Personen perfekt und um genau zu sein sogar ziemlich dem Wahnsinn nahe. Kippei Shiina ("Rain Fall") spielt den Schwindler Murata, der mit seiner Dominanz alle unterdrückt, hervorragend charismatisch und widerlich zugleich. Sein Selbstbewusstsein lässt ihn nicht nur alle Frauen haben, die er möchte, er ist generell ein Anführer, der Unwillige mit Gewalt und Unterdrückung fügig macht. Dabei legt er fast nie selbst Hand an, sondern lässt andere die Arbeit für sich erledigen.
Murata ist aber auch ein Meister darin, die Schwächen und Traumata der Menschen um sich herum auszunutzen. Speziell bei jungen Frauen hat er ein leichtes Spiel. Zu sehen, wie er deren Geist bricht, ist beinahe unerträglich und selbst Taeko, die ihren Körper verkauft, um ihre Freundin vor diesem verabscheuungswürdigen Kerl zu schützen, wird Opfer seiner Dominanz. Dabei ist sie eigentlich ein Punk und revoltiert gegen die Gesellschaft, nachdem sie ihre wahre Liebe verloren hat. Diese Liebe wird von beiden Hauptdarstellerinnen übrigens mit Romeo benannt. Das ist die Rolle, die das verstorbene Schulmädchen übernehmen sollte, es ist aber auch ein Symbol für die Suche nach der echten/wahren Liebe, die irgendwo auf dem Weg verlorengegangen ist. Ja, irgendwo verbirgt sich in dem Streifen auch ein Liebesdrama, auch wenn Sion Sono hier keineswegs an sein Vier-Stunden-Meisterwerk "Love Exposure" herankommt. Daneben haben wir aber auch einen Krimi, schließlich wird in den Nachrichten stets von einem Serienmörder berichtet, und auf den Thriller-Aspekt legt der Regisseur mit Hilfe von Muratas Psychoterror den größten Fokus.
"The Forest of Love" driftet immer weiter in den Wahnsinn ab und spätestens, als dann die erste Leiche zerstückelt wird, bekommen wir auch den für den Regisseur oft typischen hohen Gewaltheitsgrad zu sehen. Auch wenn alles irgendwie etwas überzeichnet ist, ist das nichts für schwache Nerven. Tatsächlich ist es aber das psychische Leid, das wahrhaft schwer zu ertragen ist. Irgendwann befindet man sich in einem wahren Alptraum. Daneben gibt es aber auch Sozialkritik und Humor. Der Regisseur ist bekannt dafür, mit Symbolik zu überzeichnen, aber man darf nicht übersehen, dass der Regisseur dahinter tatsächlich oft mehr sagen will, als es auf den ersten Blick scheint. "The Forest of Love" ist eindeutig zu lang geraten, aber die übersprudelnde Kreativität und Energie des Regisseurs lässt den Film nie langweilig werden. Es handelt sich schlichtweg um einen Sion Sono-Film. Ein Film für die Fans des Regisseurs, die mit seinen Ecken und Kanten und vor allem die durch den Film verursachten Bauchschmerzen leben können. Ein Film, dem auch etwas Rohes innenwohnt und der sich einem zweifellos in den Kopf brennen wird.