Story: Lee Weijie (Xiao Yang) lebt mit seiner Frau Ayu (Tan Zhuo) und seinen beiden Kindern in Thailand. Weijie besitzt einen Internet Service Provider Laden und prahlt immer wieder gerne damit, wie viele Filme er sich schon angesehen hat und dass er so trotz seiner geringen Schulbildung ohne Weiteres Verbrechen aufklären könnte. Seine Tochter Pingping (Audrey Hui), die sich schon seit einer Weile von ihrem Vater emotional entfernt hat, geht dann für ein paar Tage in ein Lerncamp, wo sie vom Sohn der Polizeichefin unter Drogen gesetzt und vergewaltigt wird. Der Täter will sie am nächsten Tag wiedersehen und droht ihr damit, sonst das aufgenommene Video auf seinem Handy zu veröffentlichen. Pingpings Mutter realisiert, dass mit ihrer Tochter etwas nicht stimmt und redet mit ihr. Da Weijie auf einer kleinen Geschäftsreise ist, empfängt sie daraufhin den Vergewaltiger und stellt ihn zur Rede. Es kommt zu einem Handgemenge, bei dem Pingping den Jungen erschlägt. Die Mutter öffnet eines der Gräber des naheliegenden Friedhofs und legt den Toten hinein. Allerdings sieht das auch die jüngere Tochter. Als Weijie nach Hause kommt und von den Geschehnissen erfährt, sammelt er all sein Filmwissen zusammen und versucht das perfekte Alibi für die Familie zu kreieren. Doch die Polizeichefin Laoorn (Joan Chen) hat eine weithin gefürchtete Intuition und setzt alles daran, ihren Sohn, der plötzlich verschwunden ist, wiederzufinden. Auch der Vater, Dutpon (Philipp Keung), der gerade mitten im Wahlkampf steckt, ist ein gefährlicher Gegner, gegen den Weijie und seine Familie kaum eine Chance haben.
Kritik: China hat eine gute Portion an indischen Filmen in seinen Kinos laufen. Warum also nicht ein indisches Thriller-Drama einer Remake-Behandlung unterziehen? Genau das hat man mit “Drishyam” gemacht und die Geschichte nach Thailand verlagert. Warum Thailand? In dem Film geht es um Polizeibrutalität, den Missbrauch von Macht und Aufstände in der Bevölkerung - Themen, die niemals den Segen der chinesischen Zensurbehörde bekommen hätten, würde der Film in China spielen. So muss man sich eben damit abfinden, dass der Film in Thailand spielt, während alle Involvierten, warum auch immer, Chinesisch sprechen. Etwas kritisch ist außerdem zu sehen, dass die Bilder Thailands oft jenen typischen schmutzigen Gelbstich haben, wie in fast jedem anderen Film, der in dem Land spielt. Die Geschichte selbst ist für ein solches Genrewerk erstaunlich intelligent geschrieben, hätte aber gerade deshalb sogar noch ein wenig tiefer gehen können.
Im Grunde geht es um zwei Familien aus entgegengesetzten sozialen Schichten, die aneinandergeraten. Die Willkür der Polizei wird schon früh im Film als soziales Übel des Landes etabliert. So ist der versehentliche Mord am Sohn des Polizeichefs auch kaum zu melden, ohne selbst für immer im Gefängnis zu landen, obwohl das Verbrechen eigentlich vom Sohn selbst seinen Ausgang nahm. Diesbezüglich ist es verwunderlich, wie pragmatisch die Familie mit der Vergewaltigung umgeht. Ein Trauma sieht anders aus, auch wenn die Tochter bei der Tat selbst betäubt war. Audrey Huis mangelnde Expertise als Darstellerin dürfte ebenfalls Schuld daran sein. Und das ist schade, denn der Rest der Besetzung ist grandios. Xiao Yang kann als Vater über sich selbst hinauswachsen, dessen Voraussage am Anfang, er habe so viele Filme gesehen, dass er ohne weiteres selbst Verbrechen aufklären könnte, unter Beweis gestellt werden darf. Nur eben genau in die andere Richtung: Er braucht das perfekte Alibi.
Der Vater bedient sich dann tatsächlich bei etlichen Genrewerken. Anfangs wird "Die Verurteilten" analysiert, doch später sind es andere Krimis und Thriller, die Weijie heranzieht, allen voran der koreanische Thriller "Montage". Montagen sind eine Form der Verkürzung und Illusion, die dem Vater genau das liefern, was er braucht. Dabei zuzusehen, wie er das perfekte Alibi zu kreieren scheint, obwohl er selbst nicht einmal auf die Grundschule gegangen ist und wegen genau dieses Lebenslaufs von der Polizeichefin unterschätzt wird, ist überaus unterhaltsam und spannend umgesetzt. Darstellerisch bewegt sich Xiao Yang auf hohem Niveau und wird dabei von Tan Zhuo ("Dying to Survive") unterstützt, die als Mutter mit ihren sehr emotionalen Handlungen oft ein Risiko für den Plan darstellt. Diese an sich normale Familie findet sich in einer Extremsituation wieder und kämpft um ihr Überleben. Das ist besonders deshalb so spannend, weil es kein Kampf gegen einen Mörder, sondern gegen eine autoritäre Instanz ist.
Diese Autorität wird von Joan Chen verkörpert, die allen anderen die Schau stiehlt. Die Polizeichefin ist eiskalt, intelligent, aber gleichzeitig auch eine Mutter, die verzweifelt ihren Sohn wiederfinden will. Eine gefährliche Mischung. Hier muss positiv herausgestellt werden, dass ihre Motive durchaus nachvollziehbar sind und sie nicht einfach der flach geschriebene Bösewicht ist. Die Geschichte selbst soll sich sehr nah am Original halten, obwohl mit dem Thai-Boxen und den Tempeln auch etwas Lokalkolorit beigefügt wird. Die Ereignisse fügen sich schön ineinander und die Spannung wird vor allem dadurch kreiert, dass der Vater trotz aller Anstrengungen unmöglich alle Faktoren mit einberechnen kann, sodass sein Plan immer wieder Gefahr läuft, fehlzuschlagen. Gleichzeitig sind die Hinweise ziemlich eindeutig über den Film verstreut, sodass der aufmerksame Zuschauer speziell in einer Szene auf einem Friedhof kaum überrascht wird, obwohl die Atmosphäre und die Bildgestaltung deutlich darauf ausgelegt sind, die Spannung auf die Spitze zu treiben.
Dennoch ist "Sheep without a Sheperd" ein ungemein fesselnder Film, der sauber geschrieben ist und mit guten Darstellern aufwartet. Allerdings zeigt sich China als Produktionsland erneut ziemlich unnachgiebig, wenn es um bestimmte moralische Fragen geht. Das Ende ist daher enttäuschend und das Original kann hier nach meiner Recherche anscheinend mehr liefern. Überdies ist die Szene nach dem Abspann, die den Kreis zum Anfang schließen soll, ziemlich eigenartig. Es ist fast eindeutig, dass Regisseur Sam Quah in seinem Debütwerk eine mutigere Richtung einschlagen wollte. Denn gerade die Ausmaße der Demonstrationen, die der Fall auslöst, weil die Polizei eine augenscheinlich unschuldige Familie ins Visier nimmt, bekommen fast schon etwas Episches. Das Finale hätte also ziemlich beeindruckend werden können, wenn es nicht wegen der chinesischen Zensurbehörde in etwas Unbedeutenderem verpufft wäre. Davon abgesehen bleibt der Film aber ein hervorragender Thriller, den man sich nicht entgehen lassen sollte.