Story: Yuichi Hasumi (Hayato Ichihara) ist ein sehr introvertierter Junge. Irgendwann macht er die Bekanntschaft
mit Hoshino (Shugo Oshinari), der in allem sehr gute Leistungen erbringt und sogar Schulsprecher ist. Doch gerade
deswegen wird Hoshino oft von seinen Mitschülern tyrannisiert. Niemand scheint ihn wirklich zu verstehen, doch
langsam findet auch er Freunde. Mit Hasumi verbindet ihn auch seine Leidenschaft für das Pop-Idol Lily Chou-Chou. In
nächtlichen Chat-orgien frönen sie ihrem Hobby, aber tagsüber müssen sie wieder den Kampf gegen den grauenhaften
Schulalltag aufnehmen.
Alles ändert sich jedoch nachdem Hasumi und Hoshino mit ihren Freunden einen Ausflug nach Okinawa unternommen haben.
Hoshino wäre dort beinahe ertrunken und hat sich seitdem stark verändert. Er fängt an eine Schulgang anzuführen und
ist für Prügeleien, Diebstähle und sogar Vergewaltigungen verantwortlich. Hoshino lässt sich nicht mehr tyrannisieren,
sondern tyrannisiert nun selbst. Auch Hasumi wird des Öfteren Opfer von seinem ehemaligen Freund. Für die Jugendlichen
wird ihr Alltag zur Hölle...
Kritik: "All about Lily Chou-Chou" ist ein schön anzusehender, bewegender, aber vor allem verwirrender Film.
In gewisser Hinsicht ist der Film der bis dato am schwierigsten zu fassende Film, den ich je zu sehen bekommen habe.
Das ist vor allem deshalb merkwürdig, da er eigentlich eine relativ simple Aussage hat. Nur wird vieles der
Interpretationsfähigkeit des Zuschauers überlassen, welcher wiederum kaum noch in der Lage ist nach diesem Ritt in
eine erzähltechnisch erschreckend verworrene Welt, zu interpretieren.
Das hier künsterisch anspruchsvolles Kino geschaffen wurde steht außer Frage, warum bloß muss dabei unbedingt
der Unterhaltungsgrad zurückstecken? Die erste Stunde des Films ist man gar geneigt einfach abzuschalten, da man
einfach keinen Zugang zum Film findet und die sich aneinander reihenden Szenen ein immer undeutlicheres Bild
ergeben. Natürlich im übertragenen Sinne "undeutlich", denn visuell zeigt uns Shunji Iwai ("Love Letter") wieder
einmal, dass er einiges drauf hat.
Nachdem wir mitten in den Film geworfen wurden und uns gerade einigermaßen orientiert haben, gibt es plötzlich
einen unerwartet und erst im Nachhinein offensichtlichen Schnitt in die Vergangenheit der Protagonisten. Später wird
ein genauso unauffälliger Sprung in die Zukunft gemacht. Für den Zuschauer ist das sehr frustrierend, da man immer
wieder verwirrt vor diesem scheinbar unzusammenhängenden Ganzen steht. Geduld erweist sich hier als eine wahre
Tugend. Wer es schafft seinen Frust zur Seite zu schieben und auszuharren für den wird am Ende alles einen Sinn
machen. "AALCC" ist einer der Filme, die wahrscheinlich sowieso erst nach dem zweiten mal Schauen wirklich Sinn
ergeben. Gerade das macht den Film jedoch zu so unwahrscheinlich schwerer Kost.
Kritik gibt es an einigen Stellen anzumerken. Wie schon erwähnt kommt man nur schwer in den Film hinein, was daran
liegt, dass wir keinen "Helden" oder "Antihelden" haben mit dem wir uns identifizieren können. Jedes Mal, wenn wir
uns in Hasumi oder Hoshino hineinversetzen konnten, macht der Film eine narrative Wende und lässt uns das Geschehen
mehr oder weniger aus der Sicht des jeweils anderen sehen. Noch dazu gibt es den großen Einschnitt im Film in Form
der Reise nach Okinawa. Wozu diese Reise? Sicher, Hoshino hat ein Nah-Tod-Erlebnis und verändert sich danach extrem.
Ansonsten zieht sich diese Episode mitsamt Sight-seeing-tour scheinbar endlos in die Länge und scheint für den Film
nicht weiter wichtig zu sein. Doch wer hier nicht aufpasst, dem wird etwas Essentielles entgehen. Der Fremde, den die
Jugendlichen auf ihrer Reise treffen, entschlüsselt nämlich in einer Naturmetapher die Hauptaussage des Films. Auch
wenn die Welt der Jugendlichen von außen wie eine Welt voller Spaß aussieht, so ist sie für die Jugendlichen selbst
oftmals die Hölle auf Erden...
Immer wieder werden wir in Chatmanier, inklusive Tipp-Geräuschen, in die Welt der Lily Chou-Chou Anhänger entführt.
Dieses imaginäre Pop-Idol verkörpert mit ihrer Musik den "Äther" und schafft es die Jugendlichen über das
unpersönliche Medium Internet, ihre wahren Gefühle zum Ausdruck bringen zu lassen. Das ganze Gerede über diesen
Äther lässt mehr als nur einmal Fragezeichen im Kopf entstehen. Der Äther scheint ein universelles Gefühl zu
sein, bzw. kein Gefühl. Die Lossagung von der Welt und das gleichzeitige Teil-sein von dieser. Lilys Musik ist für
die Jugendlichen also eine Art Meditation, eine Möglichkeit aus der grauenhaften Welt zu entfliehen und zu leben.
Gleichzeitig steht je nach Album Lilys eine bestimmte Farbe und die dazugehörige Emotion im Vordergrund. Doch
letztendlich lösen sich all diese Gefühle, wie Trauer und Verzweiflung im "Äther" auf, bis nur noch das "Sein"
existiert.
Die Musik ist außergewöhnlich, melancholisch, befremdlich und mitreißend. Eigentlich spiegelt sich in ihr genau das
wider, was wir vom Film zu erwarten haben. Zuerst wissen wir nicht, was wir von ihr zu halten haben und in ihrer
Komplexität lässt sie unsere Gedanken wild durcheinander huschen. Doch mit der Zeit kann man gar nicht anders als
die Musik von Salyu, welche hier Lily Chou-Chou verkörpert, zu lieben. Und wenn es auch nur ein paar ihrer Stücke sind.
Der Musikstil ist nicht wirklich einordbar. Eine Mischung aus New Age, Pop und Trip Hop. Vergleiche mit
Björk werden selbst im Film angestellt, doch trifft es das auf keinen Fall. Aber auch außer den Stücken von
Salyu besticht der Film durch ungewöhnlich viel, guter und passender Musik, u.a. auch Klassikstücke von Debussy.
Selbst wenn man nicht viel vom Film mitnehmen kann, einige werden nicht drum herumkommen den Soundtrack zu kaufen...
Visuell ist "AALCC" auf jeden Fall sehr gut geworden. Einige Szenen sind einfach traumhaft, so z.B. die
Momente, in denen die Jugendlichen durch ein unsichtbares Band miteinander verbunden in den Feldern sitzend der Musik
ihres Pop-Idols lauschen.
Mit durchgängig Handheld-Kamera-artigen Aufnahmen hat man das Gefühl immer mitten im Geschehen zu sein, wenn da bloß
nicht die für den Zuschauer oftmals konfusen Sprünge wären... Einer dieser merkwürdigen Einschnitte ist wie schon
erwähnt die Reise nach Okinawa. Hier wird alles komplett mit einer "richtigen" Handkamera eingefangen, was der
Reise wegen des Stilbruchs nochmal das Gefühl eines Einschubs gibt.
Neben dieser fehlenden Ganzheit des Werks ist ebenfalls störend, dass der Film sich manchmal in unwichtigen Szenen
verliert. Das trägt nicht nur dazu bei, dass der Film einige Längen aufweist, sondern bewirkt auch, dass er mit fast
2 1/2 Stunden einfach zu lang ist.
"All about Lily Chou-Chou" ist ein Film über die Grausamkeit des Erwachsenwerdens, der Tyrannei und Vereinsamung. Mit
einigen schockierenden Szenen zeichnet Iwai ein scharfes, reales und kritisches Bild einer Generation, die
vernachlässigt und vom rechten Weg abgekommen einen stummen Schrei nach Liebe ausstößt. Von Selbstmord, Mord und
Vergewaltigung wird hier fast jedes Thema ohne falsche Scheu behandelt.
Auch wenn der Film durch seine narrativen Wirren ein frustrierendes Erlebnis bleibt, so gibt es doch einige schöne
Szenen. Am Ende wird man sogar den Film in seiner Gänze begreifen können, auch wenn es noch viele kleine Dinge zu
interpretieren gilt. Der Weg dahin ist allerdings mit allerlei Steinen für den Zuschauer gepflastert.
Ich habe irgendwo einen Kritiker gelesen, der da schrieb, dass "AALCC" in seinem Kopf keinen Sinn ergab, dafür aber
in seinem Herzen. Das trifft es eigentlich ziemlich genau.
"All about Lily Chou-Chou" als Film zu empfehlen wäre falsch. Als Kunstwerk hat der Film seine Daseinsberechtigung und
kann sehr bewegend und fast schon wachrüttelnd sein. Es ist schwierig einem solchen Film eine Wertung zukommen zu
lassen. Was erwartet man von einem Film? Sinnentleerte oder anspruchsvolle Unterhaltung? Das wird man hier nicht
finden! Unterhaltung ist nicht das Motto dieses Films.
"AALCC" ist schwere Filmkost, die wenn man denn bereit ist sich darauf einzulassen, durchaus der Mühe des
Schauens Wert ist, und einige unvergessliche Szenen bereit hält.